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Wir unterstützen Menschen mit Behinderung

Wahlprüfsteine der Fachverbände für Menschen mit Behinderung zur Bundestagswahl 2021

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Die fünf Fachverbände für Menschen mit Behinderung repräsentieren ca. 90 % der Dienste und Einrichtungen für Menschen mit geistiger, seelischer, körperlicher oder mehrfacher Behinderung in Deutschland. Ethisches Fundament ihrer Zusammenarbeit ist das gemeinsame Bekenntnis zur Menschenwürde sowie zum Recht auf Selbstbestimmung und auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gesellschaft. Ihre zentrale Aufgabe sehen die Fachverbände in der Wahrung der Rechte und Interessen von Menschen mit geistiger, seelischer, körperlicher oder mehrfacher Behinderung in einer sich immerfort  verändernden Gesellschaft.

Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung fordern die Parteien zur Bundestagswahl 2021 auf, sich für soziale Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen einzusetzen und die damit verbundenen
Aufgaben in den parteipolitischen Fokus zu rücken.

Die Fachverbände haben die derzeit wichtigsten Handlungsbedarfe in den folgenden Forderungen formuliert und wenden sich hiermit an die zur Wahl antretenden Parteien mit der Bitte um Stellungnahme.

1. Defizite in der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Behinderung beheben

Für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung ist die Absicherung ihres Krankheitsrisikos von überragender Bedeutung. Es ist daher unverzichtbar, dass sie einen ungehinderten Zugang zum gesundheitlichen Versorgungssystem haben. Die Versorgung in den Krankenhäusern ist dabei besonders in den Blick zu nehmen. Eine Behandlung im Krankenhaus kann für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung sehr beängstigend sein und als bedrohlich empfunden werden. Deshalb stellt die Begleitung durch eine vertraute Bezugsperson, die zum Beispiel bei der Kommunikation unterstützt, einen ganz entscheidenden Faktor für einen gelingenden Krankenhausaufenthalt dar. Nach der derzeitigen Rechtslage ist die Mitnahme von Assistenzkräften ins Krankenhaus nur bei jener kleinen Gruppe von Menschen mit Behinderung sichergestellt, die ihre Pflege im Rahmen des sogenannten Arbeitgebermodells organisieren. Die Fachverbände fordern, einen Anspruch auf Assistenz im Krankenhaus für alle Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung einzuführen, die während eines Krankenhausaufenthalts oder einer stationären Rehabilitation auf die Begleitung durch eine vertraute Bezugsperson angewiesen sind. Bei Begleitung durch Angehörige ist der Verdienstausfall und bei Begleitung durch Personal aus besonderen Wohnformen oder von Pflege- und Assistenzdiensten sind die hierdurch entstehenden Personalersatzkosten zu übernehmen.

Von ebenso großer Bedeutung ist die dringende Notwendigkeit, die medizinischen und personellen Ressourcen im Gesundheitswesen derart aufzubauen, dass ein barrierefreier Zugang zu Gesundheitsleistungen möglich ist. Dies gilt für Krankenhäuser gleichermaßen wie für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen oder Arztpraxen. Nur 11 Prozent der Arztpraxen sind barrierefrei. Die Fachverbände fordern, die Barrierefreiheit der Räumlichkeiten und apparativen Ausstattungen herzustellen sowie die personellen Ressourcen in Bezug auf zeitliche Kapazitäten und Qualität aufzubauen.

2. Diskriminierung von Menschen mit Behinderung bei den Leistungen der Pflegeversicherung beenden

Die Fachverbände kritisieren seit Jahren die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung bei den Leistungen der Pflegeversicherung aufgrund des § 43a SGB XI. Mit dieser Regelung werden Leistungen der Pflegeversicherung für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung, die in besonderen Wohnformen leben, auf 266 Euro im Monat begrenzt und die betroffenen Versicherten dadurch erheblich benachteiligt. Die Fachverbände fordern deshalb, § 43a SGB XI abzuschaffen und für die Bewohner*innen der besonderen Wohnformen den vollen Zugang zu allen Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege sicherzustellen. Sollte dieser Schritt länger dauern, muss die Pauschale kurzfristig deutlich erhöht werden.

3. BTHG-Umsetzung: Personenzentrierung umsetzen

Die Fachverbände begrüßen grundsätzlich die personenzentrierte Ausrichtung des BTHG mit der Bindung der Leistungen an den individuellen Bedarf und die Bedürfnisse, der Aufgabe der Trennung von ambulanter und stationärer Leistungserbringung und der Stärkung der individuellen Lebensgestaltungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung. Allerdings ist es bis zur echten Selbstbestimmung und Personenzentrierung noch ein weiter Weg. Vor allem für Menschen mit schwerer oder mehrfacher Behinderung sind die Auswirkungen der neuen Eingliederungshilfe noch nicht spürbar.

Die Fachverbände haben die Modellprojekte und Evaluationen, die unmittelbar mit dem BTHG eingeführt wurden, sehr begrüßt. Auch nach deren Auslaufen ist es wichtig, mit einem geeigneten Monitoring sicherzustellen, dass die Personenzentrierung angemessen umgesetzt wird, damit das Ziel des Gesetzgebers erreicht wird und Menschen mit Behinderung personenzentriert Leistungen erhalten können.

4. Inklusiven Wohnraum schaffen und freie Wahl des Wohn- und Lebensortes sicherstellen

Nach der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 19 UN-BRK) muss gewährleistet sein, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben. Dafür müssen Menschen mit Behinderung Zugang zu gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben. Das BTHG setzt diese Vorgaben jedoch nur unzureichend um. So unterliegt das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderung nach wie vor einem Kostenvorbehalt. Darüber hinaus mangelt es an barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum für Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung. In den nächsten Jahren muss deutlich in die Schaffung inklusiven Wohnraums investiert werden – es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass Menschen mit und ohne Behinderung im Sozialraum leben und dort personenzentriert Unterstützung erhalten. Die Konzepte dafür gibt es in der Eingliederungshilfe, häufig aber fehlt es an geeignetem Wohnraum.

Auch können Menschen mit Behinderung, die in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe leben, in ein Pflegeheim „abgeschoben“ werden, wenn sich ihr Pflegebedarf so erhöht, dass die Pflege in der besonderen Wohnform nicht mehr sichergestellt werden kann. Menschen mit Behinderung haben aber auch bei hohem Pflegebedarf das Recht, in ihrem vertrauten Umfeld wohnen zu bleiben. Deshalb fordern die Fachverbände, die betreffenden Regelungen abzuschaffen und damit die freie Wahl des Wohn- und Lebensortes sicherzustellen.

5. Teilhabe am Arbeitsleben für alle Menschen mit Behinderung, auch mit hohem Unterstützungsbedarf

Menschen mit und ohne Behinderung sollen ohne Beschränkung ihren Beruf oder Arbeitsplatz wählen können und die Möglichkeit haben, sich durch Arbeit den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Die bisherige Hürde für den Eingang in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung, das sogenannte „Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“, führt dazu, dass bestimmte Menschen gänzlich und dauerhaft von der Teilhabe am Arbeitsleben ausgeschlossen sind. Die bedeutenden Lebensbereiche, berufliche Bildung und Arbeit, bleiben ihnen damit verwehrt. Das ist diskriminierend und mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar. Die Ausgrenzung von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben muss überwunden werden. Die Fachverbände fordern deshalb, die bestehende Begrenzung des Zugangs zur Werkstatt für behinderte Menschen, zu den anderen Leistungsanbietern, zum Budget für Arbeit und zum Budget für Ausbildung aufzuheben.

6. Corona-Pandemie: Teilhabe für Menschen mit Behinderung auch in der Pandemie umsetzen

Von der Corona-Pandemie sind viele Menschen mit Behinderung in besonderem Maße betroffen, da sie häufig Vorerkrankungen aufweisen und damit ein schwerer Verlauf bei einer Infektion mit dem Coronavirus wahrscheinlicher ist. Besonders zu Beginn der Pandemie erfolgten massive Einschränkungen zum Schutz der Risikogruppen, wie die Schließung von Tagesstätten, Schulen und Werkstätten für behinderte Menschen oder Besuchsverbote in gemeinschaftlichen Wohnformen. Dies hatte erhebliche negative Auswirkungen auf Menschen mit Behinderung und ihre Familien. Auch heute noch müssen Menschen mit Behinderung mit erheblichen Einschränkungen leben, um eine Infektion zu vermeiden.

So existenziell wichtig bestimmte Einschränkungen für die durch das Coronavirus besonders gefährdeten Personengruppen – darunter auch viele Menschen mit Behinderung – waren und sind, so dürfen doch hierdurch die Errungenschaften der letzten Jahre in Bezug auf Teilhabe und Selbstbestimmung nicht verloren gehen. Die Fachverbände fordern, bei Corona-Maßnahmen stets den Gesundheitsschutz sorgfältig mit dem Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung abzuwägen. Dies kann nur gelingen, indem Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung, der Angehörigen sowie die Leistungserbringer beteiligt werden.

7. Teilhabe für Menschen mit Behinderung durch Digitalisierung verbessern

Die Digitalisierung bietet für Menschen mit Behinderung viele Möglichkeiten der Kommunikation und Teilhabe. Mit Hilfe der digitalen Medien können beispielsweise schnell und unkompliziert Informationen eingeholt und über die verschiedenen Plattformen persönliche und berufliche Inhalte eingestellt und ausgetauscht werden. Digitale Teilhabe bedeutet deshalb gesellschaftliche Teilhabe. Haben Menschen mit Behinderung keinen Zugang zur digitalen Welt, laufen sie Gefahr, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden. Diese Erfahrungen mussten viele Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung noch stärker als sonst während der Besuchsverbote machen. Deshalb fordern die Fachverbände, die Grundvoraussetzungen für eine digitale Teilhabe zu schaffen und Barrieren abzubauen.

8. Bedarfe und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung in alle Bereiche einbeziehen und stets mitdenken

Menschen mit Behinderung haben ein Recht darauf, dass ihre Belange Berücksichtigung finden, um ihnen gleichberechtige gesellschaftliche Teilhabe und eine möglichst selbstbestimmte und unabhängige Lebensführung zu ermöglichen. Um gleichwertige Lebensverhältnisse für Menschen mit und ohne Behinderung herzustellen, müssen die Bedarfe und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung nicht nur im Hinblick auf sozialpolitische Themen, sondern auf allen gesellschaftspolitischen Handlungsebenen einbezogen und mitgedacht werden. Die Fachverbände fordern deshalb, dass Menschen mit Behinderung über alle Ressorts hinweg stets mitgedacht und ihre Interessenvertretungen im Rahmen der Gesetzgebung in wahrnehmbarer Form beteiligt werden.

9. Ausbildung und Beruf: Berufsbilder der Eingliederungshilfe stärken

Im Bereich der Eingliederungshilfe besteht bereits seit Jahren ein Personal- und Fachkräftemangel. Insbesondere fehlt es an Heilerziehungspfleger*innen und Heilpädagog*innen. Nachdem der Bund in die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Erzieher*innen und Pflegekräfte investiert hat, fordern die Fachverbände, in der kommenden Legislaturperiode die Berufsbilder in der Eingliederungshilfe zu stärken, indem geeignete Maßnahmen zur Gewinnung von Fachkräften getroffen und Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dazu gehört die kostenfreie Ausbildung ebenso wie eine bundesweite Kampagne zur Darstellung des Berufsbildes. Im Hinblick auf die besonderen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie fordern die Fachverbände außerdem eine bundesweite Corona-Prämie für Mitarbeitende der Behindertenhilfe.

Düsseldorf, den 31. März 2021

Antworten der Politiker*innen zu den Wahlprüfsteinen

PDF-Icon Antworten der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) und der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU)
(PDF-Datei, 81 kb)

PDF-Icon Antworten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(PDF-Datei, 47 kb)

PDF-Icon Antworten von DIE LINKE
(PDF-Datei, 142 kb)

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